Metropolit von Ostamerika und New York  Hilarion
Auf Einladung von Erzbischof Mark von Berlin und Deutschland verbrachte der sich auf Kur in Karlsbad (Tschechien) befindliche Erste Hierarch der Russisch-Orthodoxen Kirche im Ausland, Metropolit von Ostamerika und New York, Hilarion, den 4. und 5. Juli 2010 in der Hauptstadt Bayerns.

Metropolit Hilarion: „Die geistige Einigkeit unserer Kirche besteht bereits, aber die strukturelle ist eine Frage der Zeit.“

Teilübersetzung des Interviews mit Metropolit Hilarion, geführt von Anatoly Holodyuk (Korrespondent von sedmitza.ru)

— Eure Eminenz, heute endet Euer zweitägiger Besuch in München, wohin Ihr auf Einladung des Erzbischofs von Berlin und Deutschland Mark von Eurem Kuraufenthalt in Karlsbad gekommen seid. Wie würdet Ihr die Lage der Dinge in der von Erzbischof Mark geführten Diözese einschätzen?


-Ich bin sehr erfreut, das Gedeihen unserer Diözese in Deutschland festzustellen und zu sehen. Mit ihr bin ich seit 1971 bekannt, als ich mich kurz auf deutschem Boden als Student des orthodoxen Priesterseminars New Yorks aufhielt. Damals besuchte ich in einer Jugendgruppe das Männerkloster des Hiob von Pochayev, wo zu dieser Zeit Bischof Nathaniel der Vorsteher war. Ich erinnere mich, dass der Zustand dieses Klosters auf uns, Seminaristen, einen armseligen Eindruck gemacht hat. Doch mit der Ernennung Marks zum Erzbischof hat sich, Gott sei Dank, alles im Kloster zum viel Besseren verändert. In der Tat lässt sich derzeit in der Diözese von Berlin und Deutschland ihr merkliches Aufblühen beobachten. Im Land entstehen in Verbindung mit dem massiven Zustrom von Spätaussiedlern und Immigranten neue Gemeinden. Für diese werden neue Kirchen gebaut oder Räumlichkeiten für den Gottesdienst erworben, die orthodoxen Kirchen selbst werden merklich aufwendiger gestaltet und verschönert.

-Prognostizieren Sie eine vollständige Einheit der Russisch-Orthodoxen Kirche, also auch die Fusion der beiden Diözesen auf deutschem Boden — der Kirche im Ausland und des Moskauer Patriarchats?


— Die geistige Einigkeit unserer Kirche besteht bereits, aber die strukturelle ist eine Frage der Zeit und hierfür müssen bestimmte Umstände und Bedingungen gereift sein. Ich glaube, dass zukünftig eine Fusion von beispielsweise zwei getrennten Kirchengemeinden in einer Stadt möglich sein wird, wie bereits in Australien geschehen, nämlich in der Stadt Newcastle in New South Wales. Die Gläubigen der bereits fusionierten St. Nikolaus Kirchengemeinde leben jetzt zusammen und –wohlgemerkt- freundschaftlich. Was eine mögliche Fusion zweier getrennter Gemeinden in Deutschland anbelangt, glaube ich, dass es voll und ganz von den geistlichen Vorgesetzten abhängt, diese Frage zu lösen. Mit der Zeit können natürlich gewisse Gespräche über dieses Thema stattfinden. Allerdings bin ich der Meinung, dass Eile in dieser Angelegenheit völlig nutzlos ist. Solche komplexen Fragen müssen friedlich gelöst werden, ruhig und vor allem — mit Liebe.

-Und womit ist die Einweisung zum Abhalten von Gottesdiensten von Bischof Agapito von Stuttgart aus Deutschland nach Australien verbunden?

-Ich bin nachwievor der regierende Bischof der Diözese von Sydney und Australien- Neuseeland und habe keinen Priester, und daher habe ich Bischof Agapito eingeladen, für ein paar Monate nach Australien zu kommen und mir bei der weiteren Organisation der Arbeiten in dieser Diözese zu helfen. Doch offensichtlich muss Bischof Agapito aufgrund des Unfalls, der sich am 4. Juli in Bayern ereignet hat, mit dem Flug nach Australien ein wenig warten. Er muss sich nach dem, was passiert ist, erholen.

-Unter den Gläubigen der Münchener Gemeinde kann man bezüglich des sich unmittelbar vor der Abreise des Bischofs ereigneten Unfalls die gegensätzlichsten Deutungen, ja sogar Vorhersagen vernehmen. Wie würden Sie sich dazu äußern?


-Freilich stehen wir alle unter Gottes Allmacht und alles liegt in seinen Händen. Nach dem Sieg der deutschen Nationalelf über die argentinische Mannschaft in Südafrika befanden sich viele deutsche Fans – und unter ihnen auch die Autofahrer – im Freudetaumel und waren daher nicht in nüchternem Zustand. Betrunken war auch der Autofahrer, der in das Fahrzeug gefahren war, in dem sich die Bischöfe Mark und Agapito befanden. Und wie immer hat

der Feind des Menschengeschlechts die menschliche Schwäche ausgenutzt, um Schaden anzurichten.

[…]

-Was würden Sie im Augenblick als eben diese „drängenden Fragen“ bezeichnen, die für die Kirche im Ausland nennenswert erscheinen?

-Eines unserer drängenden Probleme ist der chronische Mangel an Personal, konkret an Priestern, die für die geistige Betreuung zahlreicher Kirchenmitglieder nötig sind. Wir benötigen dringend Humanressourcen für eine rundum lückenlose Arbeit in den zahlenmäßig wachsenden Kirchengemeinden, die sich auf dem riesigen Gebiet befinden, das gegenwärtig zu der Russischen Kirche im Ausland zählt.

-Nach Ihrer Ernennung zum Oberhaupt der Russischen Orthodoxen Kirche im Ausland besteht für Sie in deutlich höherem Maße als zuvor die Notwendigkeit, in zahlreiche Länder zu reisen und mit dem Klerus sowie mit den Gläubigen in den verschiedensten Winkeln der Erde Umgang zu haben. Müssen Sie sich zusätzliches Wissen über die Orthodoxie auf den verschiedenen Kontinenten und Ländern aneignen?


-Natürlich, und die in Moskau herausgegebene „Orthodoxe Enzyklopädie“ erweist mir hierin eine unersetzliche Hilfe! Denn dies ist ein bemerkenswertes und einzigartiges Werk einer großen Autorengemeinschaft. Ich persönliche beschäftige mich nicht nur mit dem Studium ihrer interessanten Artikel, sondern unterstütze in jeder möglichen Weise die Herausgabe der vielbändigen „Orthodoxen Enzyklopädie“. Ich halte sie für eine wundervolle wissenschaftliche und praktische Stütze, die sowohl einem erfahrenen Metropoliten als auch einem Priester in den Anfängen seiner Tätigkeit hilft, alle notwendigen Informationen über die Orthodoxie und das orthodoxe Leben zu erfahren sowie Antworten auf eine Vielzahl von Fragen, die mit dem Leben und den Aktivitäten unserer Russischen Orthodoxen Kirche verbunden sind, zu finden. Ich sende Gottes Segen all denen, die jetzt an der Vorbereitung
und Fortführung der Veröffentlichung dieses titanischen theologischen Werkes beteiligt sind.